Kalorien zählen – ein Teufelskreis

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Mein Terminkalender vom Jahr 2014 hat sehr spezielle Einträge. Um genau zu sein besteht er neben Schulterminen hauptsächlich aus Zahlen. Aus der Überschrift nun richtig zu kombinieren: es waren Kalorienzahlen.

Wie bereits berichtet, hatte meine Magersucht in meinem Abiturjahr ihren absoluten Höhenpunkt erreicht, mein Essverhalten jedoch den absoluten Tiefpunkt. Mein Gewicht war auch bereits so niedrig, dass es lebensgefährlich war. Unter ärztlicher Aufsicht durfte dieses auf keinen Fall weiter sinken, sonst droht Schulunfähigkeit und das war´s dann mit meinem Abitur. Ich muss erwähnen, dass mir mein Abitur damals wichtiger war als mein Leben.

Daraus folgte, dass ich mein Gewicht täglich kontrollierte. Es entstand ein morgendliches Ritual, das wie folgt aussah: Meine Mutter weckt mich. Mein erster Weg führt mich zur Waage, diesem Monster. Dort wird erst mal mein Gewicht gecheckt und der ganze weitere Tagesablauf hing davon ab. Um ehrlich zu sein, war es aber vollkommen egal, was auf der Waage stand. Ich würde sowieso Panik schieben. Hatte ich Gewicht verloren, musste es wieder drauf, hatte ich 100g mehr, galt es diese wieder loszuwerden. War das Gewicht gleich wie am Vortag, wollte ich es halten, wusste aber nicht mit welcher Kalorienanzahl mir das glückte.

Weiter geht es an den Frühstückstisch. Meine Mutter hat zu ihrem Frühstück täglich eine Dosis „Julia-in-Tränen“ bekommen. Das tut mir heute unendlich leid, besonders wenn ich daran denke wie wichtig ihr Ruhe und Zeit fürs Frühstück ist.

Mein Tagesgewicht wurde dann auch sogleich in meinen Kalender eingetragen und mit meiner Mutter hab ich dann festgelegt, was ich heute esse, je nachdem, ob ich mein Gewicht sinken, steigern oder halten wollte. Man muss dazu sagen, dass meine Mutter bereits alles versucht hat, um mir zu helfen. Damit meine ich, dass sie mich nicht in meinem Esswahn unterstützt hat.

Dummerweise verstand und versteht meine Mutter bis heute sehr wenig von Kalorien. Somit stellte ich meinen Essensplan zusammen und sie saß daneben, um ihr danach die Schuld in die Schuhe zu schieben, falls ich schon wieder abgenommen hätte.

Grundsätzlich standen auf meinem Plan nur Lebensmittel, wo ich den genauen Kaloriengehalt kenne. Und da kommt es schon mal darauf an, ob ein Müsliriegel 10 Kalorien mehr hat als der andere. Außerdem habe ich natürlich alles schön aufgerundet. Man kann ja nie wissen, ob von der Lebensmittelindustrie einen nicht anlügen und auf ihre Verpackungen ihre Produkte kalorienärmer machen als sie sind. Deshalb: Die 70 Kalorien vom Müsliriegel werden im Kalender mit 100 notiert. Am Ende der Essliste werden noch alle Kalorien addiert um sicherzugehen ja nicht zu viel zu mir zu nehmen.

Soweit, so schlecht. Denn ein weiteres großes Problem dieser eh schon mickrigen Tagesration war, dass am Ende des Tages eher weniger davon in meinem Magen gelandet ist…

6 Gedanken zu “Kalorien zählen – ein Teufelskreis

  1. Um es mal zynisch zu formulieren: du hast die Kalorien immerhin noch ausgerechnet. Ich habe letzten Herbst entweder gleich gar nichts gegessen, oder es zeitnah wieder von mir gegeben. Ergebnis nach wenigen Wochen: BMI 14, beziehungsweise 44kg bei 1,77m.

    Inzwischen nehme ich aber zum Glück wieder recht schnell zu. Ich kann quasi dabei zusehen, und, viel wichtiger, es fühlt sich gut an 🙂

    Ich wünsche dir, dass du dich ebenfalls wohl fühlst! 🙂

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  2. Monika-Maria Ehliah

    Liebe Julia,
    so massive (lebensbedrohliche) psychische Stoerungen wie sie bei dir bereits diagnostiziert wurden, lapidar als *wir sind alle Psychos* abzutun, ist nicht nur verantwortungslos, sondern grob fahrlässig.
    Ich wünsche dir die Kraft und vor allem den Mut hin zu sehen, um zu erkennen, dass wir nicht alls Psychos sind, sondern dass du dringend Hilfe brauchst, weil du krank bist.
    Segen dir und alles, alles Gute!
    M.M.

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    1. Liebe Monika-Maria!

      Vielen Dank für deine Sorgen! Ich möchte aber betonen, dass der Titel meines Blogs etwas mit Humor zu verstehen ist. Ich bin mir durchaus der Ernsthaftigkeit psychischer Krankheiten bewusst, nicht zuletzt deswegen weil ich auch Psychologie studiere.

      Nicht nur, dass es mir mittlerweile besser geht als zu meinen schlimmsten Zeiten. Ich möchte mit diesem Blog zeigen, dass psychisch Kranke keine Außerirdischen sind. Dass sie genauso denken, fühlen und leben wie „Gesunde“.

      Jeder von uns hätte einen Grund eine Therapie zu machen, weil er mit irgendwas in seinem Leben nicht zurecht kommt oder sich besser verstehen möchte. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass in uns alle ein kleiner Psycho steckt.

      Alles Liebe,
      Julia

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  3. Pingback: Essensplan – Fluch oder Segen? – Lebenswelt

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