Ich stelle mich gerne als Opfer dar. Ich bin ein Opfer der Gesellschaft und dieser ungerechten Welt. Doch ich bin nicht dieses Unschuldslamm. Nimmt man auch mein verlogenes und unsensibles Verhalten unter Einfluss von Magersucht und Co. als „Krankheitssymptom“ heraus, bleibt noch immer einiges an Untaten übrig. Von einer möchte ich euch heute erzählen…
Ich habe gemobbt. Das war in der Hauptschule, bevor ich aufs Gymnasium gewechselt habe. Diese Zeit war klassengemeinschaftlich gesehen sowieso eine reine Katastrophe. Es war ein ständiges „Heute bist du meine Freundin und morgen dann wieder nicht!“ Wie jeder in der Pubertät wollte ich dazugehören, dazugehören zu den coolen Kids. Und dabei habe ich oft gar nicht richtig nachgedacht.
Ich glaube es gibt in jeder Klasse, die Leute die man böse als „Außenseiter“ bezeichnen kann. War ich ein Außenseiter? Es kommt drauf an. Ich würde sagen das hat immer geschwankt.
Auf jeden Fall gab es da ein Mädchen, die aus sehr ländlichen Verhältnissen kommt und dementsprechend anders war. Ich schäme mich schon jetzt für den kommenden Satz, aber damit ihr euch vorstellen könnt, was ich meine: Sie war ein „Bauerntrampel“. Heute würde ich sagen, dass wir einfach nicht auf einer Wellenlänge waren.
Es war Ende des Schuljahres und wie jedes Jahr sind wir eine Woche zum Sport machen an einen See gefahren. Doch bevor die Woche starten konnte, mussten noch Zimmer eingeteilt werden. Wer schläft mit wem in welchem Zimmer? Wer es schon einmal mit pubertierenden Mädchen zu tun hatte, weiß dass da so richtig die Krallen ausgefahren werden.
So geschah es, wie anzunehmen, dass ich mit der “Außenseiterin“ in einem Zimmer schlafen sollte. Denn es war lange hin und her gestritten worden, wo denn die Unbeliebte untergebracht wird. Natürlich hat sie das alles mitbekommen. Als i-Tüpfelchen hab ich dann noch in der Gruppe der coolen Mädels in der Pause gesagt: „Dann nehm ich sie halt. Aber ihr müsst mich schon besuchen kommen, sonst halte ich das nicht aus!“ Ich bekam Ansehen von den anderen, dass ich ihr Problem gelöst hatte.
Das Problem? Das arme Mädchen hat unseren Dialog mitangehört. In Tränen ausbrechend lief sie Richtung Lehrerzimmer und wurde später von ihren Eltern abgeholt. Ich hab mich damals gar nicht schlecht gefühlt, sondern nur gedacht: „Was stellt sie sich denn so an?“
Wenn ich darüber schreibe, tut mir das im Herzen weh. Auch wenn ich eine Person nicht leiden kann, hat sie eine solche Behandlung nicht verdient. Und außerdem hat jeder Mensch etwas Schönes an sich. Bitte, denkt nach bevor ihr einen Menschen verurteilt! In unseren Köpfen sind Vorurteile eingebrannt. Gegen deren aufploppen können wir uns nicht währen. Wogegen wir uns aber sehr wohl währen können sind unsere verletzenden Handlungsimpulse.
Ich habe das Mädchen auch nach der Schule noch häufiger gesehen und wir sind gut miteinander ausgekommen, nachdem ich verstanden habe, dass es nicht wichtig ist zu den dummen Hühnern zu gehören. Über den Vorfall gesprochen, haben wir allerdings nie wieder…
Mir gefällt dieser Beitrag sehr gut. Es ist schön zu sehen dass sich auch die „Täter“ daran erinnern, was sie getan haben. Du zeigst wahre Grösse!
Ich selber war mehrere Schuljahre Opfer von Mobbingattacken und erlitt dadurch ein Trauma.
Gestern erst hab ich einen Post vorgeschrieben um ihn im Blog zu veröffentĺichen. Ich würde dann gerne auf diesen Beitrag verweisen um auch die andere Seite zu zeigen.
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Vielen Dank für deine lieben Worte! Das tut mir leid, dass du so schreckliche Erfahrungen machen musstest! Natürlich kannst du auf meinen Beitrag verweisen. Das würde mir viel bedeuten, denn zu einem solch wichtigen Thema kann es niemals genug Beiträge geben!
Alles Liebe, Julia ❤
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Ich wollte nie zu solchen Menschen, also diesen coolen, dazugehören.
Habe mich immer abgegrenzt und meine eigene Meinung vertreten.
Klassenfahrten habe ich aus diesem Grund gehasst.
Die Außenseiter waren mir aber auch egal.
Ich habe dieses pubertäre soziale Gehabe nie verstanden. Was ist so wichtig daran?
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Ich finde es großartig, dass du immer schon so Selbstbewusst warst und dein Ding durchgezogen hast. Darauf kannst du wirklich stolz sein!
Ich denke, da wir Menschen ja soziale Wesen sind, brauchen wir die Anerkennung und Zugehörigkeit zum „Überleben“. Es ist ein Grundbedürfnis, das sich ja nicht nur in der Pubertät zeigt. In dieser Zeit nimmt es leider oft schädliche Seiten an, da oft die Fähigkeit zur Reflexion fehlt bzw. übergangen wird. Und in der Pubertät haben noch viele nicht ihren Weg, ihre Persönlichkeit gefunden. Da ist es am einfachsten mit der Masse zu schwimmen. Man sucht irgendeinen Anhaltspunkt.
Jeder will geliebt werden und viele Menschen setzen Liebe mit Anerkennung gleich.
Liebe Grüße
Julia
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