Suizid ist wie Krebstod

Häufig trifft man ja auf den Vergleich, dass eine psychische Erkrankung im Grunde nichts anderes sei als ein gebrochenes Bein, nur das sozusagen im Gehirn was „gebrochen“ ist. Soweit kann ich zustimmen.

Nur beim weiteren Verhalten funktioniert diese Analogie für mich nicht mehr. Fährt man mit einem gebrochenen Bein unverzüglich zum Arzt, verhält es sich bei psychischen Erkrankungen meist anders. Man überlegt, ob die Lustlosigkeit und Traurigkeit nicht doch eine alltägliche Ursache hat und es bestimmt eh bald wieder weggeht. Ist schon nicht so schlimm.

Auch wie man mit den Erkrankungen in der Öffentlichkeit umgeht, unterscheidet sich stark. Geht man mit einem gebrochenen Bein unter die Leute, erhält man sofort Mitleid und die Leute zeigen Verständnis. Das wird dadurch unterstützt, da die Verletzung meist direkt sichtbar ist. Bei psychischen Erkrankungen herrscht nicht nur ein Stigma in der Gesellschaft, dass dazu führt, dass man meist seinen Kollegen nicht so offen über seine Depression erzählt. Oft sind psychische Störungen auch nicht auf den ersten Blick, oder auch den zweiten, zu erkennen.

Jetzt versuche ich mich mal an einer Analogie, die wahrscheinlich genauso lückenhaft ist, aber mir schon länger im Kopf herumspukt:

Ist Suizid nicht ein ähnlicher Vorgang, wie wenn ein Mensch an Krebs stirbt?

Denn bleibt man bei der Analogie mit dem gebrochenen Bein, versucht man hier doch psychische und körperliche Erkrankungen auf eine Linie zu stellen. Somit ist eine Depression genauso eine Krankheit wie Krebs oder jede andere körperliche Erkrankung.

Geht man jetzt einen Schritt weiter, dann führen manche Krebserkrankungen zum Tode. Das ist tragisch, aber das würde niemand leugnen. Ähnlich führen auch manche psychische Erkrankungen jetzt hier stellvertretend mal die Depression zum Tod. Soweit unterscheidet sich also psychische und körperliche Erkrankung nicht unbedingt.

Aber auch hier ist der Umgang damit ein ganz anderer. Reagiert man auf einen Krebstod mit Trauer und Mitleid, ist es doch eine Todesursache, über die man in der Öffentlichkeit sprechen darf. Bei Suizid kommt zu Trauer und Mitleid noch ein gewisser Schock dazu, warum ein Mensch sowas tun kann. Gab es einen Suizid in der Familie bleibt das meist ein Geheimnis, aus Angst vor den Reaktionen der Leute. Das finde ich schade.

Ich will hiermit weder Depression, noch Krebs verharmlosen. Ich möchte damit nur sagen, dass psychische und körperliche Erkrankungen ähnlicher sind, als man möglicherweise denkt und dass man grundsätzlich gar keine Trennung ziehen braucht, gesellschaftlich gesehen. Denn jede Erkrankung muss behandelt werden, egal ob psychisch oder körperlich.


Was ist eure Meinung dazu? Könnt ihr mit dieser Analogie was anfangen? Schreibt mir doch gerne! ❤

 

 

20 Gedanken zu “Suizid ist wie Krebstod

  1. Desirée

    Diese These würde ich auch so unterschreiben.
    Ich vergleiche die Depression oft mit Krebs… für viele Aussenstehende ist es dann einfacher zu Verstehen.
    Genau wie bei Krebs, therapiert man eine Depression und entweder schlägt die Therapie an oder eben nicht. Eine Depression kann genau so zum Tod führen wie Krebs. Man sollte einen Suizid nicht als gewollt betrachten, sondern als einen tragischen Verlauf der Krankheit, wie bei Krebs auch.

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  2. Als Betroffener kann ich das nur unterschreiben. Mich stört es nicht, ob und was andere Menschen über meine psychische Erkrankung denken. Oder ob sie einen unbedachten Kommentar dazu äußern. Das kommt vor.

    Bis man darauf kommt, dass es eine psych. Krankheit ist, das dauert schon mal sehr lange. Therapie und (vorübergehende) Heilung dauern mindestens noch mal so lange. Es kann schon sehr deprimieren und auch ich war schon kurz davor aufzugeben. Zwar nicht mit dem Extrem des Suizids, aber wenn einem das eigene Leben anfängt egal zu werden, ist das kein besonders schönes Gefühl.

    Aus diesem Tief bin ich aber raus, kein Grund zur Besorgnis 🙂

    Die Analogie (Krebserkrankung) behalte ich aber mal im Hinterkopf, denn das ist wahrlich eine sehr gute. Danke hierfür!

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    1. Ich kenne sehr gut, was du beschreibst. Alleine Gedanken, dass einem das Leben egal ist, sind rückblickend betrachtet schon näher am Suizid dran als einem lieb ist. In der Psychologie sagst man dazu ‚passive Todeswünsche‘.

      Aber ich freue mich wirklich sehr für dich, dass dieses Tief vorbei ist. Mögen wir beide nie wieder an diesen dunklen Ort gelangen!

      Alles Liebe, Julia

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  3. LichtAusdruck

    Das Problem ist denke ich, dass einige meinen, dass Depression nur ein bisschen mehr Traurigkeit und Melancholie ist, die man willentlich beeinflussen kann. „Das kenne ich auch!“ „Das geht doch bald wieder vorbei!“ sind Sprüche, die aus Unkenntnis gesagt werden oder mit Verachtung: „Depressive sind schwache Menschen, die sich nicht im Griff haben.“
    Ein bisschen gebrochenes Bein dagegen gibt es nicht und erst recht kann ich es willentlich nicht heilen. Das Stigma von psychischen Erkrankungen ist leider trotz Aufklärung und öffentlicher Aufmerksamkeit (Robert Enke 2009) noch immer in den Köpfen der Menschen verankert.
    Die Analogie mit dem Krebs finde ich gut.
    LG Simone

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  4. Als ich einmal während meiner ersten stationären Behandlung sehr verzweifelt war und mit Wut und Schuldgefühlen mir selbst gegenüber kämpfte, weil ich es nicht geschafft hatte, gesund zu bleiben (es war meine 3. depressive Episode, vorher war ich 2 Jahre Recht stabil gewesen und dann sehr enttäuscht von mir wegen des Rückschlags), verglich meine Lieblingspflegekraft Depressionen auch mit einer Krebserkrankung. Sie meinte, der Leidensdruck bei einer schweren Depression sei nicht geringer als bei Krebs. Ihre Worte und der Vergleich halfen mir, in diesem Moment besser zu verstehen, dass ich wirklich krank bin und mich nicht nur anstelle. Später meinte jemand anderes vom Stationsteam dann noch, Depressionen seien eine potentiell lebensbedrohliche Krankheit. Und … es stimmt.

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    1. Vielen Dank für dieses schönen Worte! ❤ Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es immer schwierig ist, über das Thema Suizid zu schreiben, aber wenn ich eine so positive Resonanz auf den Beitrag bekomme, dann weiß ich es, dass es richtig ist darüber zu schreiben.
      Ganz liebe Grüße, Julia

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  5. Auch ich schließe mich an, hatte diese Analogie auch schon mehrfach im Kopf. Und natürlich bringt man sich nicht um, weil man Bock hat zu sterben. Und die wenigsten, weil sie keinen Bock haben auf Leben. Aber DIESES Leben, mit diesem Leidensdruck, kann trotz der grundsätzlichen Liebe zum Leben einfach nicht ertragbar sein. Ja, Suizid ist wie ein Krebstod. Und kein Versagen.

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  6. Ein sehr toller Beitrag. Ich stimme dem ebenfalls zu. Viele sehen nicht wenn meine Seele “kaputt“ ist. Umso wichtiger ist es in der Öffentlichkeit darüber zu reden und in den Dialog zu gehen(dies natürlich in Maßen). Vielleicht kann dadurch sogar ein Mensch länger leben. Irgendjemanden wird’s immer helfen und wir sind uns doch ähnlicher als wir denken. Machmal, da rede ich auch offen über meine Störung und merke, dass es mehr gleichgesinnte in meinem Umfeld gibt als ich dachte. Erschreckend aber auch beruhigend zugleich. Also danke für diesen Beitrag. Herzliche Grüße. E.

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  7. Der Unterschied zwischen Krebstod und Suizid durch eine Depression ist, dass Krebskranke sich nicht willentlich töten. Ein Depressiver muss aktiv wie Robert Enke vor dem Zug springen. Dazu gehört viel Überwindung. Daher ist der Vergleich mit Krebs irreführend und nicht ganz korrekt. An Depressionen alleine stirbt niemand. An Krebs schon.

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    1. Da hast du recht. Es sind ja immer noch zwei unterschiedliche Krankheiten. Aber sich aktiv umzubringen kann ja irgendwo eine Art „Symptom“ einer sehr schweren Depression sein. Sich dagegen zu entscheiden ist schwierig, wenn man einen gewissen Punkt erreicht hat.

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