Am Tag vor Weihnachten möchte ich mit euch noch eine kleine Geschichte teilen, die ich während meines letzten Klinikaufenthalts kennen und lieben gelernt habe:
Die Stadt der Glückseligkeit

Ein Mann machte sich auf nach der Stadt der Glückseligkeit. Er nahm nur das Wichtigste mit und brach bei Sonnenaufgang auf. Als er den ganzen Tag in Richtung Stadt der Glückseligkeit gewandert war, rastete er schließlich an einem großen stillen See. Der Tag senkte sich und er entschloss sich, unter einem großen Baum zu lagern. Er bereitete das Nachtlager und stellte seine Schuhe so hin, dass die Schuhspitzen genau in die Richtung der Stadt der Glückseligkeit zeigten. So konnte er sicher sein, die Richtung am Morgen nicht zu verfehlen.
In der Nacht jedoch kam ein Spaßmacher des Weges. Dieser sah die Szene unter dem Baum, sah den Schlafenden, die Schuhe, erfasste die Situation. Leise drehte er die Schuhe in die entgegengesetzte Richtung und ging davon.
Am Morgen zog der Mann, der zur Stadt der Glückseligkeit unterwegs war, seine Schuhe an und bewegte sich den ganzen Tag lang in die Richtung, die die Schuhspitzen ihm gezeigt hatten. In der Abenddämmerung tauchte in der Ferne eine große und leuchtende Stadt auf. Eine innere Gewissheit sagte ihm, dass dies eindeutig die Stadt der Glückseligkeit sei. Er ging immer weiter auf die Stadt zu. Als die Sonne unterging, durchschritt er gerade ihre mächtigen Tore. Weiter und weiter ging er in sie hinein, ihrer Mitte zustrebend.Als er das Zentrum der Stadt der Glückseligkeit erreicht hatte, erkannte er zu seinem Erstaunen, dass er zu Hause angekommen war.
(aus: Reinhold Dietrich: „49 Meistergeschichten“)