Du bist doch selbst schuld an deiner Essstörung!

Heute widmen wir uns wieder einmal einem Thema aus der bunten Kiste „Vorurteile und Stigmatisierung von Essstörungen“. Die liebe Michaela von Happy Kalorie (die übrigens auch einen tollen Beitrag dazu verfasst hat), machte mich vor kurzem auf einen Artikel aufmerksam, indem der Autor Nils Binnberg von seiner Orthorexia Nervosa berichtet.  Das ist vereinfacht gesprochen eine Essstörung, bei der man sich im übertriebenem Maße mit einer „gesunden“ Ernährung auseinandersetzt. Er berichtet wie er jedem Ernährungstrend hinterherrannte, um sich gesund zu ernähren – dabei war er schon längst krank. Den ganzen Artikel könnt ihr hier nachlesen: Wut auf Ernährungs-Gurus „Ich wollte nur gesund essen – und wurde davon krank“

Der Punkt des Beitrags ist, dass uns diese Vielzahl an Ernährungstrends, die von allen möglichen Seiten auf uns einprasseln, krank machen können und dass hier große Vorsicht geboten ist. Das sehe ich absolut genauso. So weit, so gut. Aber warum greife ich dieses Thema hier noch einmal auf?

Die Mitteldeutsche Zeitung, wo der Artikel erschienen ist, hat diesen auf Facebook geteilt und wie das auf Sozialen Netzwerken so ist, kann jeder munter seine Meinung dazu äußern. Neben einigen verständnisvollen Kommentaren, fanden sich jedoch auch einige, die mich absolut schockiert haben. Der Kanon dieser Kommentare war „Der ist doch selbst schuld!“ Gerne könnt ihr euch HIER selbst dazu ein Bild machen.

Die Aussage, dass jemand an einer Essstörung selbst schuld sein und doch nur seinen Kopf einschalten soll, um solchen Ernährungstrends nicht zu folgen, verletzt mich nicht nur, sondern macht mich auch unglaublich wütend. Nils Binnberg spricht explizit von einer Essstörung, einer psychischen Erkrankung. Und ich werde mittlerweile müde zu betonen, dass psychische Erkrankungen nichts mit Schuld zu tun haben. Klar, gibt es Ursachen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch versucht nach seinen besten Möglichkeiten zu leben. Und vielleicht sind Menschen, die eine Essstörung haben, leichter „manipulierbar“, aber das heißt noch lange nicht, dass sie einfach sagen können ich esse jetzt wieder „normal“, weil ich mich dazu entscheide oder schon im Vorhinein so „schlau“ bin gar nicht darauf reinzufallen.

In den Kommentaren wird von „Mitläufertum“ gesprochen, dass er hip sein wollte, um dazuzugehören. Mich stört die negative Färbung, obwohl ich im Kern schon zustimme. Das hat allerdings für mich nur etwas zutiefst menschliches. Das Bedürfnis dazuzugehören ist essentiell. Für unsere Vorfahren war es überlebenswichtig, um nicht als Einzelgänger vom Säbelzahntiger gefressen zu werden. Dieses Bedürfnis ist noch immer sehr stark in uns verankert. Wir alle wollen geliebt werden und zu einer Gruppe dazugehören. Und wenn ich etwas mache, was viele tun, werde ich vielleicht eher akzeptiert. Leider sind heutzutage viele Dinge, die eine ganze Menge Menschen machen, alles andere als gesund. Also was wird ihm in diesem Kommentar im Grunde vorgeworfen? Dass er geliebt werden möchte? Dass er Anerkennung möchte?

Das ist nur ein Beispiel, wie man einen solchen Kommentar mit etwas Nachdenken als unreflektiert und naiv ansehen könnte. Mir geht es hier allerdings auch nicht darum diese Menschen vorzuführen, sondern sie darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht ok ist, andere so leichtfertig zu verurteilen, nur, weil man den Hintergrund nicht versteht. Wir alle haben unsere blinden Flecken und es gibt Meinungen, die ich auch selbst schwer nachvollziehen kann. Trotzdem gebe ich mir Mühe sie zu verstehen und sachlich darüber zu diskutieren. Das gelingt mir natürlich auch nicht immer perfekt.

Ich weiß, dass Ernährung für sehr viele Menschen – egal ob mit oder ohne Essstörung – ein sehr stark emotional gefärbtes Thema ist. Und gerade, wenn Emotionen dazukommen ist es schwierig sachlich zu bleiben. Auch das ist menschlich. Wichtig ist es mir dennoch richtigzustellen, dass Schuld in einer solchen Diskussion bezogen auf den Einzelnen wenig weiterbringt. Ich finde es sogar vermessen zu sagen, dass alleine die „Ernährungs-Gurus“ – um bei dieser Wortwahl zu bleiben – daran Schuld sind. Es ist ein größeres Bild aus Aktion und Reaktion, das hier betrachtet werden muss. Denn wäre es so einfach, dass Menschen nur mal „richtig“ nachdenken müssten, um Probleme zu lösen, dann wäre die Welt der friedlichste Ort, den man sich vorstellen kann.

Wenn ihr noch weitere Gedanken zu dem Thema hören wollt, dann lest unbedingt den Beitrag von Happy Kalorie: „Essstörung? Selbst schuld!“ Sie bringt die Thematik perfekt auf den Punkt!


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10 Gedanken zu “Du bist doch selbst schuld an deiner Essstörung!

  1. Liebe Julia,
    beim Lesen deines Post bekam ich Gänsehaut. Toll geschrieben… Danke, dass wir gemeinsam mit Mias Anker und vielen weiteren Aufklärung in diesem Themengebiet leisten. 💪🤝
    Wir wissen, dass Essstörungen nichts mit „einfach“ und diese psychische Erkrankung keine bewusste „Kopfentscheidung“ ist. Und genau deshalb ist es wichtig, dass wir das machen, was wir machen. Auch wenn wir oftmals gegen verschlossene Türen und festgefahrene Ansichten mit unserer Sicht auf die Dinge prallen. Tag für Tag – gemeinsam stark 🤝😊
    Danke für deinen Beitrag. 🌻
    Viele Grüße 🐞
    Michaela

    Gefällt 3 Personen

    1. Wow! Vielen Dank für diese tollen Worte, Michaela! Ich bin auch so froh, dass wir hier gemeinsam dranbleiben – auch wenn wir vielleicht nur kleine Dinge verändern können. Es ist keine Option einfach nichts zu sagen, auch wenn es viele gar nicht hören wollen. Wir finden schon einen Weg durch die verschlossenen Türen! 😉
      Liebe Grüße

      Gefällt 1 Person

  2. Meinen Praktis erzähle ich immer, nicht in die Kommentare zu gehen. Da ist so vieles drin, was man nicht lesen muß… 😉
    Ganz allgemein, sind Ernährungsthemen gerade unheimlich en vogue und da glaubt halt jeder, seine Meinung raushauen zu müssen. Das endet aber auch irgendwann wieder…

    Gefällt 2 Personen

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