Ich hatte vor Kurzem ein Uni-Seminar, wo ein sehr erfahrener Chefarzt seine Meinungen ausführlich mit uns Studierenden geteilt hat. Und ich muss sagen, dass ich es immer sehr schätze, wenn Menschen aus dem Nähkästchen plaudern. Allerdings fand ich auch einige seiner Aussagen etwas kritisch.
Besonders als es zur Versorgungslage von stationärem, aber auch ambulanten Angebot für psychisch Kranke kam, musste ich erst einmal tief Luft holen. Er erzählte, dass seine Klinik regelrecht von Menschen überlaufen wird, die keine psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe benötigen. Damit meinte er z.B. Menschen mit „Pseudo-Depression“, also Personen, die gerade aufgrund einer Trennung oder sonst was gedrückte Stimmung zeigen. Er sagte, dass viel zu häufig Menschen bei ihm ankämen, die „normale“ emotionale Reaktionen auf das Leben vermeintlich nicht mehr verkraften würden und er diese Patienten auch wegschicke. Auch, wenn ich seine Aussagen hier vielleicht etwas überspitzt dargestellt habe, stimme ich mit ihm überein. Stationär kann man nicht mehr Patienten aufnehmen als man Betten hat. Und dass in einer Klinik auch in der Regel die schwereren Fälle landen müssen, sehe ich auch ein.
Was mich jedoch gestört hat war, als er meinte, dass dieses Prinzip auch auf ambulante Psychotherapie ausgedehnt werden müsse. Sprich, Leute, die beispielsweise „nur“ wegen einer leichten Depression auf der Matte stehen, sollte der Therapeut wegschicken. Und ich kam nicht darum herum mich von seinen Aussagen angegriffen zu fühlen. Denn ich bin vom Funktionsniveau eine recht stabile Person. Ich bekomme trotz allem, mein Leben noch ganz gut auf die Reihe. Und dass ich manchmal absolut keinen Lebenssinn sehe – ja, vielleicht gehört das dazu. Unterm Strich habe ich mir Gedanken gemacht, ob ich überhaupt krank genug für meine Psychotherapie bin.
Ich sehe das Problem, dass nicht alle, die Psychotherapie wollen, auch eine bekommen sollten. Ich glaube aber auch, dass, gerade im ambulanten Bereich, recht viele ohnehin erst kommen, wenn es ihnen sauschlecht geht. Klar, muss hier auch zwischen den Störungsbildern unterschieden werden. Aber keiner, der mir bisher begegnet ist, hat aus Spaß eine Psychotherapie begonnen. Und auf menschlicher Seite, sehe ich es als absolut kritisch, jemandem einfach wegzuschicken, der seinen Mut zusammengekratzt und den Weg, bis man vor einem Psychotherapeuten sitzt, auf sich genommen hat. Das Ablehen erfolgt dann mit dem Argument, man müsse Plätze freihalten für Personen, die es dringender brauchen.
Da spielt sich in meinem Kopf dann folgendes Szenario ab: Diese abgelehnte Person wird vielleicht geknickt nach Hause gehen und versuchen weiterhin ihr Leben zu leben, obwohl sie irgendwie unglücklich ist. Diese recht harmlosen depressiven Symptome nehmen über die Zeit hinweg zu, jedoch traut sich die Person keine Hilfe mehr in Anspruch zu nehmen, aus Angst abgelehnt zu werden. Die Person lebt dann miserabel vor sich hin, weil ihre Erfahrungen aus der Psychotherapie-Praxis, nicht krank genug zu sein, in ihrem Kopf widerhallen.
Das mag erneut etwas dramatisch klingen und das ist ja auch ein Worst-Case-Szenario. Ich hab auch keine Lösung dafür, wie man die Frage „Wen behandeln und wen nicht?“ am besten beantwortet. Vielleicht haben wir tatsächlich verlernt mit „normalen“ Alltagsproblemen zurechtzukommen. Aber andererseits sollte doch Menschen, die leiden, auch geholfen werden. Und Leid ist etwas so individuelles, was sich oft nicht in ein Diagnosesystem pressen lässt.
Nicht zuletzt stört mich hier, dass Hilfe erst dann da sein soll, wenn es einem so richtig schlecht geht – wenn also die psychische Störung vollständig ausgeprägt ist. Hätte man bei meiner Essstörung früher eingegriffen, hätte ich mir sehr sehr viel Leid erspart. Dieser Beitrag soll sich nicht gegen diesen Arzt richten, aber mich ärgert das System. Ein System, in dem andere entscheiden wie schlecht es mir geht.
Könnt ihr die Sicht des Arztes nachvollziehen? Habt ihr Ideen wie man eine gerechte Versorgung im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie am besten herstellt?
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Als jemand der sich seit Jahren nicht überwinden kann in Therapie zu gehen weil ich immer das Gefühl habe dass ich noch nicht krank genug bin / dass es mir noch nicht schlecht genug geht kann ich total mit dem was du sagst übereinstimmen.
Ich finde das ist ein weiteres Beispiel an dem wie dieses symptomorientierte Denken der Psychotherapie manchmal auch wirklich schaden kann. So viele Ärzte und Therapeuten sehen nur noch die Checklisten vor sich und wenn es eben nur 7 statt 8 Symptomen sind und irgendjemand mal zufällig entscheiden hat dass man erst ab 8 krank ist, tja, dann hat man wohl Pech gehabt. Das finde ich einfach nicht richtig.
Andererseits verstehe ich auch dass es eben nur eine begrenzte Anzahl an Therapeuten gibt. Und dass man irgendwie selektieren muss und dass der Prozess immer irgendwelche Fehler haben wird. Trotzdem erscheint es mir so einfach nicht gut genug – es werden immer irgendwelche Leute durch die Diagnoseraster fallen. Aber das wichtigste Diagnosekriterium sollte doch eigentlich das Leid sein dass die Krankheit verursacht, oder nicht? Und wie du sagst darauf zu warten dass es einem „schlecht genug“ geht ist doch wirklich Irrsinn.
Ich habe leider keine Ahnung, wie man das alles gerechter machen könnte. Wenn es eine einfache Lösung gäbe wäre sie bestimmt schon von klügeren Menschen als mir gefunden worden. Aber ich finde das was der Arzt in deinem Beispiel vorschlägt keine gute Idee – vor allem weil es von Therapeuten verlangt noch mehr eine Maschine zu werden die nur Symptomhäufigkeiten abklappert, wo es doch eigentlich darum gehen sollte einen Menschen als Mensch zu sehen und diesem bestmöglich zu helfen.
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Es ist definitiv eine sehr schwierige Situation, die auch keine einfache Lösung bereithält. Und ich stimme dir absolut zu, dass es nicht nur darum gehen sollte die Symptom-Checkliste abzuklappern. Nicht zuletzt, weil die ja auch nur der subjektive Konsens einiger Experten sind und es da große Mängel gibt, die nicht nur Laien kritisieren, sondern auch viele andere Wissenschaftler, Psychotherapeuten und Ärzte.
Gerade, wenn Menschen freiwillig zu einer Psychotherapie gehen, dann wird vermutlich der Leidensdruck so groß sein, dass eine Therapie in den meisten Fällen angebracht wäre. Und wenn sich der Therapeut nicht sicher ist, kann er ja auch erstmal eine Kurzzeittherapie machen. Ich glaube im Moment sind das 12 Sitzungen. Das ist nicht die Welt und wenn man dann denkt, dass Psychotherapie bei diesem Patienten nichts bringt bzw. es eigentlich nicht notwendig ist, dann kann man es als Therapeut noch immer beenden. Das mag zwar noch immer wie eine Verschwendung von Ressourcen klingen, aber, wenn ich an die somatische Medizin denke, ist das in vielen Fällen nicht anders.
Gerade wenn man es so umsetzen würde wie der Arzt gesagt hat, dann nimmt man die Personen nicht ernst oder zumindest kann der Eindruck schnell entstehen. Ich will nicht von jemand anderem bestimmen lassen, ob mein psychisches Erleben „gestört“ genug ist oder nicht.
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Also was die stationäre Therapie anbelangt, kann ich das ein bisschen nachvollziehen. Im „Körper“-Krankenhaus werden ja auch nur die stationär aufgenommen, denen es so schlecht geht, dass sie eine rundum Betreuung brauchen. Aber was die ambulante Therapie engeht, finde ich, muss das jeder Mensch selbst entscheiden, ob er Hilfe braucht oder nicht. Der Hausarzt würde jemanden mit nem Husten ja auch nicht wegschicken, bloß weil er keine Blutvergiftung hat. Ich denke dafür ist die ambulante Therapie da. Und Leid ist ja immer auch sehr subjektiv…
Schwer zu sagen, wie man das „fair“ gestalten kann. Ich würde mir einfach wünschen, dass es mehr Therapeuten gäbe und dass die Therapie einfach effektiver sei und auch ganzheitlich orientiert (nicht nur Psyche, sondern Körper, Seele UND Geist)! Wenn wir mehr Heilungen sehen, dann gibt es auch mehr freie Plätze!
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Leid ist subjektiv…so ist es! Und ich finde es hier immer schön, Vergleiche zur somatischen Medizin zu ziehen. Das zeigt die Absurdität, mit der psychische Erkrankungen manchmal behandelt werden.
Es wäre definitiv wichtig, dass es mehr Therapeuten bzw. Therapieplätze mit Kassenabrechnung gibt. Und auch der Fokus auf ganzheitliche Therapie scheint mir sehr sinnvoll – gerade aus meiner Sicht als Person mit Essstörung. Ich fände es schön, wenn es mehr Therapieverfahren gäbe, die als Krankenkassenleistung zählen. Denn nicht für jeden ist Gesprächstherapie das geeignetste.
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Sehr schwer zu entscheiden. Ich habe inzwischen eine tolle Hausärztin, mit der ich tolle Gespräche habe und die fachlich sehr fit ist. Sowohl in Schulmedizin als auch ganzheitlich orientiert. Ich glaube, hätte ich die früher gehabt, wäre manches anders gelaufen.
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Das ist richtig toll, dass du eine solche Hausärztin gefunden hast! Das ist leider echt nicht so selbstverständlich und kann eine große Stütze sein.
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Uff. Dass Menschen, die keine Krankheitssymptome haben, nicht in eine Klinik oder Therapie gehören, finde ich völlig in Ordnung. Dafür sind die Therapieplätze zu knapp. Das sollte man ihnen aber nichtsdestotrotz freundlich und empathisch vermitteln und ihnen idealerweise andere, passendere Hilfsmöglichkeiten für ihre jeweilige Situation nennen. Z.B. Familienberatungsstellen, Seelsorge, Schuldnerberatung usw. Denn aus purer Langeweile wird ganz sicher niemand der Betroffenen vorstellig.
Bei dem Beispiel mit der Trennung bekomme ich Bauschmerzen. Nicht jeder verkraftet eine solche gut, es ist und bleibt gerade nach einer langjährigen Beziehung ein einschneidendes Lifeevent, aus dem sich (natürlich neben anderen Faktoren) früher oder später eine Depression entwickeln kann, eine Suchterkrankung oder gar ein Suizid. Letzteres war bei uns in der Familie ein Mal der traurige Fall. Darum sollte man im Einzelfall genau abwägen, ob es sich um eine „normale“ Trauerreaktion in Folge einer Trennung handelt oder mehr dahinter stecken könnte, was Behandlungsbedarf hat und Betroffene nicht direkt abweisen!
Eine Hirarchiesierung im Sinne von „wem es schlechter geht,hat zuerst Anspruch auf Hilfe und alle anderen müssen warten oder werden gar nicht behandelt“ finde ich insofern schwierig, was die Beurteilung angeht. Angenommen ein Arzt oder Therapeut soll so ein Ranking erstellen, fänden sich sicher einige Feleinschätzungen darunter. Z.B. fällt es introvertierten/sehr schüchternen oder ängstlichen Menschen vllt. schwieriger, über ihre Symptome und ihren Leidensdruck zu sprechen als Extrovertierten. Andere schämen sich vllt für ihre Symptome und lassen deswegen Dinge aus oder spielen sie herunter, während ein anderer warum auch immer übertreibt. Und bestimmt gebe es noch viele Beispiele mehr.
Lieben Gruß
Nelia
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Ich stimme dir vollkommen zu, Nelia! Ich weiß nicht, wie genau in dieser Klinik mit Leuten verfahren, die nicht aufgenommen werden. Vermutlich werden ihnen weitere Hilfsmöglichkeiten gegeben. Das wäre zumindest, aus meiner Sicht, sehr wichtig.
Genau, jeder reagiert unterschiedlich auf bestimmte Situationen und da kann man ja auch nichts dafür. Trennungen können einschneidende Ereignisse sein. Und, wie du schreibst, ist es schwierig für einen Außenstehenden einzuschätzen, wie schwerwiegend das tatsächlich ist.
Dann wird von Ärzten und Therapeuten gerne argumentiert, dass ja standardisierte Fragebogen für die Diagnostik eingesetzt werden. Aber auch hier ist natürlich das Problem, dass man sehr schnell z.B. aus Scharm nicht das Richtige ankreuzt.
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Ich glaube, das ist eigentlich jetzt schon für Hilfesuchende ein großes Problem.
Wer nicht gerade völlig am Boden liegt, wer noch beispielsweise seinen Alltag auf die Reihe bekommt, den heftet man unter „nicht so dringend“ ab, obwohl die emotionale Lage ganz anderes Handeln erfordern würde.
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Ich hab das jetzt persönlich noch nicht erlebt, dass ich mit einem solchen Argument weggeschickt wurde. Aber es kann gut sein, dass es auch in der ambulanten Therapie Psychotherapeuten gibt, die hier sehr streng sind – womöglich auch zu Unrecht.
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Muss auch nicht unbedingt „wegschicken“ sein, sondern, dass man z. B. weit hinten auf der Warteliste landet, weil „nicht so dringend, Patient kann noch dies und das“.
Ist zwar richtig, dass die richtig dringenden Fälle erst recht die sind, bei denen im Leben gar nichts mehr funktioniert (oder die gar schon zwangseingewiesen werden), allerdings bedeutet „ich funktioniere noch im Alltag ohne mich in die Scheiße reinzureiten“ nicht zwangsläufig, dass es demjenigen viel besser geht als dem, der das nicht mehr hinkriegt. Es gibt genausogut viele, die diese äußere Fassade mit Müh und Not noch aufrecht erhalten können, allerdings eben „mit Müh und Not“. Dahinter sieht es dann sehr finster aus.
In der gewöhnlichen Medizin ist das auch schon ein Missstand bei regionalen Versorgungsengpässen, dass Leute, die zwar medizinische Probleme haben, aber nicht ultimativ vor dem Herzinfarkt stehen, relativ weit hinten in der Terminliste landen – gerade bei Leiden, die eine schleichende oder systematischere Natur haben, und nur zeitweise sehr akut sind, ist das hinderlich, um einmal das Gesamtbild der Lage zu erstellen. Weil diejenigen, wenn ihr Termin dann endlich ist, schon nicht mehr so akute Symptome haben und man dementsprechend nichts mehr findet. Der Patient quasi als „hast du dir alles nur eingebildet“ oder „hast die Hitze nicht vertragen“ dasteht, obwohl das medizinisch falsch ist und wenn nicht sogar gefährlich.
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Das, was du beschreibst ist eine schwerwiegende Thematik. Wo ich wieder bei meinem Problem bin, dass es kaum möglich ist für die Schwere der psychischen Belastung objektive Marker zu finden. Wie du auch schreibst, manchen gelingt es bis zum Suizid ihre Maske aufrecht zu erhalten. Und ich kann psychische Belastung nicht daran klassifizieren, ob jemand vor mir sitzt und seine Verzweiflung ausdrücken kann oder nicht. Klar, verstehe ich auch die Gewichtung nach Schwere. Aber, der Schaden, der dadurch angerichtet werden kann, darf nicht unterschätzt werden. Ich wüsste allerdings auch kein besseres Kriterium, wenn wir das System in seinen jetzigen Strukturen nicht grundlegend ändern.
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Ich würde sagen, es steht und fällt in dem Fall erst mal damit, qualifizierte (und das kann man im psychischen Bereich nicht oft genug unterstreichen) Fachärzte und -therapeuten flächendeckend in greifbarer Nähe der Menschen zu haben.
Bei der Versorgung mit Fachärzten aus den verschiedenen medizinischen Bereichen kann man das sehr gut beobachten, wie sehr es Leute demotiviert, wenn diese dutzende Kilometer weit weg von ihnen angesiedelt sind (manch einer hat schon damit ein Problem, dort überhaupt hinzukommen; physische Kapazitäten spielen da eine Rolle als auch dass es finanziell eventuell eine Belastung darstellt), dann hat man noch das Pech, darauf angewiesen zu sein, dass dieser Arzt von seinem Fach etwas versteht, den nächsten findet man sonst wieder nur in größerer Entfernung, und letztendlich ist es gerade für die außer(groß-)städtische Versorgung nicht gerade gut, wenn komplexere medizinische Felder auf ländlichem Gebiet schlecht abgedeckt sind. Die Kranken wohnen schließlich nicht dort ausschließlich auf Bestellung, wo die Ärzte zu finden sind, sondern sie tauchen überall dort auf, wo eben Menschen leben.
Für die Versorgungslage, und damit auch der Lage der Betroffenen/Hilfesuchenden, wäre es daher besser, wenn umgekehrt die Ärzte auf größerer Fläche verstreut sind; die allgemeine Versorgung also dichter ist.
Zum einen bekommt man dadurch auch die einzelnen Wartezeiten ‚runter, zum anderen kann der Betroffene sich besser um seine Probleme kümmern und sich den, seiner Meinung nach, adäquaten Facharzt suchen, weil das Angebot überhaupt da ist und er überhaupt eine richtige „Auswahl“ (in dem Sinne) hat.
(Verdammt, ich werde mich hier wahrscheinlich anhören wie ein kommunistisches Lehrbuch über die Problematik „Wie baut man ein Land auf? Wie bringt man grundlegende Versorgungsstrukturen bis in die abgelegenste Gegend?“, aber tatsächlich ist es so.)
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Ich stimme dir vollkommen zu. Als jemand, der selbst am Land aufgewachsen ist, habe ich das immer wieder mitbekommen. Im Moment ist es an meinem Geburtsort so, dass selbst Allgemeinmediziner fehlen. Allerdings ist es extrem schwer möglich ländliche Gebiete für Ärzte attraktiv zu machen. Auch, wenn den Ärzten schon Angebote gemacht werden, wo sie z.B. keine Miete für die Räumlichkeiten zahlen.
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Hallo Julia,
da mein Blog derzeit ja geschützt ist, folgt hier jetzt ein langer Kommentar: Ich gebe nämlich sowohl deinem Prof als auch dir recht. Ich denke, dass wir eine grundlegende Neuorganisation des Umgangs mit psychischer Gesundheit und psychischen Erkrankungen brauchen. Einerseits stimmt es nämlich, dass jemand mit normaler Trauer, der aber kein stützendes Umfeld hat, keinen Psychotherapieplatz beanspruchen sollte – das ist nicht Aufgabe von Psychotherapeuten, das sollte sie auch nicht sein. Andererseits stimmt es auch, dass Patienten mit leichteren Störungsbildern oder Belastungsreaktionen nicht einfach abgewiesen werden dürfen, weil sich die Belastungen so eher noch verschlimmern und weitere Versuche Hilfe zu finden unterlassen werden könnten. Dennoch sollten Psychotherapeuten halt nicht die ersten Ansprechpartner für einfache Belastungsreaktionen und leichte Störungsbilder sein.
Ich sehe die Rolle von Psychotherapeuten analog zu der von Fachärzten: Wird die Erkältung nach zwei Wochen nicht langsam mal besser, wendet man sich als ansonsten gesunder, fitter Mensch ja auch meistens nicht direkt an den Facharzt, der in drei bis sechs Monaten einen Termin frei hat (wenn aus der Erkältung eine Lungenentzündung geworden ist und man eh schon ins Krankenhaus gegangen ist), sondern an den Hausarzt, zu dem man am selben oder nächsten Tag gehen kann. Würde man es beim Facharzt probieren, würde man in vielen Fällen sogar weggeschickt werden, weil die Wartezeiten für schwer erkrankte Patienten nur auf einem erträglichen Maß gehalten werden können, wenn leichte Fälle durch den Hausarzt versorgt werden. Das Modell der Hausarztzentrierten Versorgung schreibt das sogar fest und will die Rolle der Hausärzte als Primärversorger stärken.
Analog dazu braucht es meiner Meinung nach ein multimodales Vorgehen zur Versorgung von Menschen in Lebenskrisen, mit leichten und schwereren psychischen Erkrankungen. Hausärzte, denen Gespräche mit Patienten in Krisen bezahlt werden, sind ein Baustein dafür – der Hausarzt könnte erster Ansprechpartner in diesen Fällen werden und so weit unterstützen, dass für manche Patienten gar keine weitere Behandlung nötig ist. Auch psychologische Beratungsstellen, die Kurzzeitbehandlungen mit bis zu 10 Terminen anbieten (gab es an meiner Uni für Studis) sollten gestärkt und ausgebaut werden: Für akute Belastungen oder Probleme, die aus einzelnen Auslösern entstehen, könnte das in vielen Fällen bereits reichen und die niedergelassenen psychologischen Psychotherapeuten entlasten. Auch wäre zB ein Coaching-Gutschein auf Kosten der GKV als Präventionsmaßnahme in manchen Fällen als ganz frühe Intervention denkbar. Wer Stress hat, kann ein Einzelcoaching bekommen. Wer Schlafstörungen hat, ebenfalls. Oder regelmäßig startende psychoedukativ-verhaltenstherapeutische Gruppenangebote für Menschen mit leichten Depressionen, Anpassungsstörungen oder Belastungsstörungen. So könnten erst einmal Grundtechniken der Psychohygiene vermittelt und Menschen aus der Isolation geholt werden, bevor die Probleme sich unbeobachtet verfestigen. Auch so könnten Wartezeiten minimiert und Menschen früh aufgefangen werden. Andererseits wird es aber immer auf Fälle geben, in denen ganz klar ist, dass eine möglichst schnelle Behandlung durch einen spezialisierten Psychotherapeuten nötig ist. Wenn hier mehr Ressourcen frei sind, weil andere Patienten anderweitig versorgt sind, hilft das auch diesen Personen.
Teilweise gibt es solche Konzepte schon – Beratungsstellen für verschiedene Anliegen, Kurzzeitunterstützungen, psychoedukative Gruppenangebote, Selbsthilfegruppen uvm. Die Optionen sind aber nirgendwo zentral erfasst, die jeweilige Finanzierung ist oft problematisch und es mangelt an Informationen und flächdeckendem Zugang dazu. Ich denke aber, dass mit einem solchen mehrdimensionalen Konzept vielen Menschen geholfen werden kann, ohne dass eine Einzel-Psychotherapie zum Einsatz kommt. So könnten Psychotherapeuten auch Patienten ablehnen, ohne sie ins leere laufen zu lassen, indem sie sie erst einmal in ein Coaching oder eine andere Art der Unterstützung schicken. Natürlich wird es trotzdem immer Menschen geben, die falsch eingeordnet werden, aber die gibt es jetzt ja auch, und das lässt sich nie verhindern. Im besten Fall würde mit einem breiter gefächertern Angebot aber sichergestellt, dass auch der Zugang zu intensiveren Maßnahmen wie einer Psychotherapie schneller möglich ist, weil nicht mehr jede/r mit Bedarf an Unterstützung dort aufgefangen werden muss. Und das wiederum könnte ja dazu beitragen, dass sich viele Probleme gar nicht erst so verfestigen, dass eine jahrelange Therapie nötig wird…
Und darüber hinaus denke ich auch, dass das Thema der psychischen Gesundheit unbedingt in die Schulen gehört. Wir haben damals was über Ernährung gelernt, wie das Herz funktioniert, warum Sport so wichtig ist… aber nie, was Depressionen sind, nichts zu Risikofaktoren für psychische Krankheiten, zu Anlaufstellen für den Fall, dass es uns psychisch nicht gut geht oder zu Methoden, wie man sich selbst helfen kann oder zu Warnzeichen. Auch das könnte meiner Meinung nach dabei helfen, den Umgang mit psychischen Belastungen in der Gesellschaft zu verändern und somit den Weg zu neuen Behandlungswegen zu ebnen, einfach weil es „normal“ wird, nach Hilfe zu fragen, wenn es noch nicht brennt und nicht erst, wenn die eigene Psyche fast abgebrannt ist. Wäre doch schön, wenn Psychoedukation irgendwann auf einem Level stehen würde mit Kochkursen, oder? Damit immer mehr Menschen lernen, wie sie sich nicht nur gesund ernähren, sondern auch mit psychischen Belastungen gut und gesund umgehen können, ohne daran krank zu werden.
Und: Klar, wir brauchen auch mehr Kassensitze für Psychotherapeuten! Nur so können die Wartezeiten abgebaut und mehr Menschen der wirklich notwendigen Vesorgung zugeführt werden. Und das unsägliche System der 3 anerkannten Methoden in Deutschland sollte auch mal überarbeitet werden, genau wie die Ausbildung zum Psychotherapeuten, die ja nach dem Studium ansetzt und selbst finanziert werden muss. Nichts vom oben genannten soll dem widersprechen. Aber ich denke, auch das löst das Problem der fehlenden Therapieplätze und des Bedarfs von Menschen unterhalb der Diagnoseschwellen am Ende nicht, weil hinter der gestiegenen Nachfrage nach Psychotherapie ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel steht, dem wir begegnen müssen. Und dafür brauchen wir Konzepte, die weit darüber hinaus gehen.
LG,
Amy
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Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, Amy! Ich stimme dir in vielerlei Hinsicht absolut zu. Wenn es andere Angebote gibt als Psychotherapie, die Menschen mit geringeren psychischen Problemen auffangen, dann wird es den Therapeuten eher möglich sein, Menschen auch wegzuschicken. Allerdings ist es natürlich immer schwierig genau einzuschätzen wie stark belastet eine Person ist. Denn das wissen die Personen oft selbst gar nicht so genau. Aber klar, wenn ich ein niedrigschwelligeres Angebot habe als eine Psychotherapie, kann ich dieses zuerst in Anspruch nehmen, bevor ich vielleicht feststelle, dass ich doch mehr bräuchte.
Ich würde hier, wie du ja auch schreibst, vor allem Beratungsstellen heranziehen, die man ausbauen muss. An unserer Uni ist es z.B. unmöglich zeitnah einen Term bei der psychologischen Beratung zu bekommen, weil sie so überlastet sind. Was ich allerdings als schwierig einstufe, ist, wenn der Hausarzt bei psychischen Themen die Erstversorgung darstellt. Nicht, dass ich die Idee nicht gut fände, aber das erfordert eine sehr ausführliche zusätzliche Ausbildung. Nicht ohne Grund dauert die Ausbildung von Psychotherapeuten mindestens drei Jahre. Und da ein Hausarzt immer noch diesen Job gewählt hat, um somatische Erkrankungen zu behandeln, ist es in meinen Augen etwas viel abverlangt sich hier auch noch top auszukennen. Ein Grundverständnis sollte natürlich da sein, da sie ja oft Erstanlaufstelle sind und dann nicht verkennen sollten, wenn die Basis der Problematik psychisch ist. Dann fände ich es gut, wenn er seine Patienten, im Sinne der Facharzt-Analogie, weiterüberweist an eine passende Beratungsstelle und ein Coaching.
Leider würde ein solches System, mit unterschiedlichen Anlaufstellen, je nach Schwere, wahrscheinlich die Krankenkassen überlasten bzw. würden sie es so einstufen. Es kann natürlich sein, dass durch das schnelllere Abfangen von psychischen Schwierigkeiten, bevor sie zu einem ausgewachsenen Störungsbild werden, die Anzahl psychisch kranker auf Dauer sinkt. Aber mit hypothetischen Gedanken beschäftigen sich Krankenkassen nicht so gerne. Da ist es wahrscheinlich zu viel Risiko ein System von Grund auf umzustülpen ohne genau den Outccome zu kennen.
Ich stimme dir voll und ganz zu, dass psychische Gesundheit ein viel größeres Thema an Schulen werden muss. Es gibt zwar immer mehr Bestrebungen mit externen Workshops darüber aufzuklären. Meiner Meinung gehört das aber verpflichtend in den Lehrplan.
Ich habe hier jetzt nur mal versucht auch die kritische Seite eines solchen neuen Systems anzuführen. Ich persönlich finde deine Vorschläge wirklich toll und würde sofort mitgehen. Denn durch ein weitflächigeres Angebot würde psychische Gesundheit auch zu einem zentraleren Thema für alle werden, was nicht zuletzt auch der Stigmatisierung entgegenwirken könnte.
Liebe Grüße
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Die Aussage des Arztes ist meiner Meinung nach völlig daneben, denn auch eine Trennung kann Menschen in tiefe Krisen stürzen. Zudem ist es ein Beschuldigen von Menschen die aus welchen Gründen auch immer Hilfe suchen – das System auszunutzen. Die Kritik an Hiflesuchenden zu üben finde ich problematisch, weil es meiner Meinung nach viel eher daran scheitert, das diesem Bereich des Sozial- und Gesundheitssystem viel zu wenig finanzielle und somit auch personelle Ressourcen zu Verfügung gestellt werden. In anderen Ländern wie z.B. in Norwegen oder Finnland hat die Psychiatrie einen wesentlich höheren Stellenwert ( vgl. Gehalt für Psychiater hierzulande und in Norwegen) – der Unterschied lässt sich nicht nur mit unterschiedlichen Lebenserhaltungskosten erklären.
Menschen eine Hilfeleistung abzusprechen auch wenn es sich nur um „normale“ Reaktionen auf Lebensereignisse handelt ist fragwürdig und meiner Ansicht nach unethisch.
LG
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Ich kann dir absolut zustimmen, dass hier, die Personen, die Hilfe aufsuchen, keine Beschuldigungen treffen sollen. Der Arzt hat es, zwar überspitzt, so formuliert als würde jeder beim kleinsten Problem zum Psychotherapeuten oder in die Klinik rennen. Aber Menschen sind ja nicht dumm und suchen in der Regel nur Hilfe auf, wenn sie sich tatsächlich brauchen. Und auch, wenn ich wegen jeder Kleinigkeit (wo man sich natürlich schon viel rausnimmt als Außenstehender zu sagen, was noch eine Kleinigkeit ist und was nicht mehr) Unterstützung brauche, dann ist es vielleicht nicht das angeführte Problem, das Hilfe bedarf, sondern ein tieferliegendes.
Sich hier an anderen Ländern zu orientieren, wo das System besser funktioniert, finde ich eine sehr gute Idee! Und gerade, wenn es Länder wie Norwegen oder Finnland sind, wo ja die kulturellen und sozialen Strukturen doch mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Dann kann man ja die Basis, die man hat, beibehalten und an einzelnen Stellschrauben drehen. Vielleicht würden sich daraus schon wünschenswerte Veränderungen ergeben.
Liebe Grüße
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Also, ich denke, mit all dem, was er unter „Pseudo“ faßt, bewegt er sich auf sehr dünnem Eis. Bevor man Leute wegschickt, die „nicht krank genug sind“, sollte man (nicht dieser Arzt) es lieber auf sich nehmen, einen zuviel von ihnen zu behandeln.
Was macht der eigentlich, wenn er nachweislich jemanden ablehnt und derjenige dann nicht nur geknickt weiterlebt, sondern gar nicht mehr?
Und mal ganz allgemein. ich vermute mal, in diesem Bereich gibt es nicht den objektiven Ansatz, ob jemand krank ist oder nicht. Wenn sich jemand mega schlecht fühlt, kannst Du ihm als Arzt nicht begegnen mit „Du hast nix“. Ich glaube auch nicht, daß ein Patient zu so jemandem Vertrauen faßt.
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Fällt mir dazu ein: Mag glatt sogar so sein, dass das stimmt, was der Herr behauptet. Dass Menschen (in der westlichen Welt, meine Anmerkeung) heutzutage sehr unfähig dazu sind, mit negativen Erlebnissen selbst klarzukommen, und sie daher schnell meinen, sie müssten zum Therapeuten.
Im Umkehrschluss würde ich den Gedanken aber weiter denken: Was ist, wenn derjenige eben keinen besten Freund/keine beste Freundin hat, mit der er über etwas sprechen kann? Was ist, wenn derjenige eben keine weitere Vertrauensperson in seinem Leben hat, mit der er sich verständigen kann, und keine adäquaten Mittel hat, um etwas allein zu verarbieten?
Gerade heutzutage wird viel von gesellschaftlicher Vereinsamung gesprochen, vom Zerfall der Familien und von viel zu oberflächlich geratenen Sozialkontakten (gern gesehen, wenn man gut drauf ist – ungern gesehen, wenn man nicht lebensbejahend, dauergrinsend und, laut eigener Aussage, im Leben alles „supi“ ist) – ja, selbst wenn jemand geradezu eine „Lappalie“ zu verarbeiten hat, wohin soll er sich denn wenden, wenn nicht an einen Therapeuten, oder Leute, die dafür zuständig sind, anderen in Lebenskrisen zu helfen?
Zu wem soll er denn, wenn alle immer keine Zeit haben, wenn es schwierig wird, wegen dem Pendeln zu weit weg wohnen, oder die Freunde und die Verwandtschaft in alle Winde verstreut leben?
Auch solche Dinge sollte man bei solchen Aussagen mit einbeziehen und es nicht nur blank auf die Betroffenen abwälzen, dass sie „zu empfindlich“ sind oder was auch immer.
Bei den Therapeuten dürfte ebenso ankommen, was an gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen in die falsche Richtung läuft – so wie bei allen Hilfsberufen.
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Ich stimme dir hier vollkommen zu. Es gibt viele Kleinigkeiten, die einfach besprochen werden müssen, um sie zu verarbeiten und einen klareren Blick auf die Dinge zu bekommen. Wenn man hier ein stabiles unterstützendes soziales Umfeld hat, dann werden solche Belastungen schon eine Stufe davor abgefangen sozusagen. Dass das heutzutage für viele Menschen leider so nicht mehr möglich ist, muss in die Versorgungslage von psychisch belasteten Personen mitberücksichtigt werden.
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Unterschreibe ich alles:-) Und Dein letzter Satz faßt das gut zusammen.
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Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass man nicht von außen entscheiden kann, wem denn was wie stark belastet. Aber leider ist es ja auch eventuell mit schwerwiegenden Folgen verbunden, wenn ich lieber einen zu viel als zu wenig behandle. Vielleicht bekommt dann derjenige gar keinen Platz, der suizidal ist. Und da es in Deutschland nicht so viele Anlaufstellen gibt, wo man sich auch langfristigere Unterstützung für weniger schlimme Belastungen hinwenden kann, bleibt in Anbetracht des Psychotherapeutenmangels oft nur die Klinik.
Trotz allem steht außer Frage, dass ich als Behandler die Beschwerden des Patienten immer ernst nehmen muss – egal wie „dumm“ es für den Arzt oder Therapeuten klingen mag.
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Ich denke auch, daß Problem ist eher in den zu wenigen Anlaufstellen zu sehen. Gerade vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen wie zunehmender Vereinsamung.
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Ich finde die Einstellung des Arztes ehrlich gesagt total unsensibel. Es gibt viel Umzug viele Menschen, die sich keine Hilfe holen wollen, weil es ja nicht so schlimm wie bei anderen ist. Dass es nicht genug Plätze gibt, ist für mich ein systematisches Problem – dann sollen eben mehr her. Aber die Lösung ist doch nicht die „weniger kranken“ einfach wegzuschicken! Für mich klingt das wieder nach einem Menschen, der nicht ansatzweise nachempfinden kann, wie sich eine „leichte“ Depression anfühlt – nämlich immer noch scheiße! Deshalb finde ich, dass du vollstes Recht hast behandelt zu werden! 🧡
Danke fürs Teilen dieser wirklich interessanten Erfahrung!
Liebe Grüße!
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Vielen Dank für deinen Kommentar und deine lieben Worte, Mia! Ich sehe es genauso, dass jeder, der Hilfe braucht, auch welche bekommen sollte. Vielleicht muss diese Hilfe nicht unbedingt in Form einer Psychotherapie oder eines Klinikaufenthalts stattfinden. Es kann durchaus sein, dass sich die Probleme mancher Menschen mit einigen ausführlichen Sitzungen an einer Beratungsstelle lösen lassen. Allerdings muss es den Menschen immer möglich sein diese Leistungen mit der Krankenkasse abzurechnen. Also im Prinzip eine Grundidee zu einem vielfältigeren Angebot, die hier bereits in den Kommentaren genannt wurde. Wenn sich die Hilfesuchenden auf mehrere Anlaufstellen aufteilen, dann lässt sich auch die Überlastung vielleicht etwas regeln. Dass es natürlich aber auch mehr Kassenplätze für Psychotherapie braucht, steht außer Frage.
Liebe Grüße
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Da kommt mir doch glatt mein Psychiater in den Sinn, an den ich von meinem Hausarzt überwiesen wurde. Ich war nicht nur psychisch krank, sondern es hat sich auch schon körperliche Symptome etabliert. Und das seit Jahren schon, nur habe ich die als solches einfach nicht so wahrgenommen, ich dachte immer, ja ist halt Stress, das wird wieder. Das waren Symptome wie Schlafstörungen, keinen Hunger mehr, Panikattacken. 2 Davon hab ich seit ich 6 Jahre alt bin, bin also damit aufgewachsen aber durch viele ungünstige Lebensereignisse wurden die leider nicht besser, aber für mich normal. Vor 2.5 Jahren dann, meine mein Körper und Seele, ich mag nicht mehr. Brach im Hausarztzimmer zusammen, psychisch, und nichts ging mehr. Ich wurde überwiesen und der Psychiater meinte ich könne sehr wohl zur Arbeit, schliesslich könne ich froh sein eine zu haben. Danke auch. Ermutigt vom Hausarzt suchte ich mir selber eine Therapie, was sich wirklich nicht leicht war. Die nächste die ich kennen lernte wollte mich nach einer stunde schon in eine Klinik abschieben. Ihm… ne, ich brauch nur was ambulantes. Nach einem weiteren versuch fand ich meine jetzige Therapeutin. Sie ist super. Zwar war das Thema Klinik auch 1-2 im Gespräch aber erst nach einigen Therapiestunden.
Mir ist klar das Stationäre Therapieplätze nicht grade im Übermass vorhanden sind und ja, da sollte man, wie sonst auch in den Spitälern nur die Notfälle und die wirklich schlimm Kranken aufnehmen. Alles andere kann man Ambulant machen.
Was das wegschicken von Patienten angeht die nur eine „pseudo“Depression haben find ich gewindegesagt unmenschlich und arrogant. Wie will er wissen, nach dem ersten Blick wie sehr dieser Mensch wirklich leidet. Ich denke, ich wäre sicher auch eine von denen gewesen, einfach weil ich vieles weg geschlossen habe. Man lernt mit der zeit nach aussen eine Maske zutragen während man innerlich schon lange zerbrochen ist. Da muss man sich schon etwas mehr Zeit nehmen für döse Person. Und sollte es wirklich „nur“ ein nicht so leicht zu verkrafteter Trennungsschmerz sein, was wirklich nicht zu verachten ist, braucht die Person auch nicht so viele Stunden Unterstützung. Dann hängt sie dann nicht 2.5 Jahre wie ich in der Therapie sondern vielleicht nur 3 Monate. Was bitte ist so schlimm daran auch solchen menschen unter die Arme zu greifen.
Und da kommt mir natürlich auch gleich noch das Thema Prävention in den Sinn! Lösten spart man dadurch nicht, man zahlt zwar später aber dafür dann mehr, unter umständen.
Ich weiss ja nicht wie es bei euch in Deutschland mit der Wartezeit aussieht bei Terminen. Wie gut ihr Abgedeckt seid, bei uns in der Schweiz ist das kein Problem und solange das auch so ist, sollte keinem menschen die Hilfe verweigert werden der sie anfordert.
Liebe Grüsse
Alexandra
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Danke für das Teilen deiner Erfahrung, Alexandra. Es ist schrecklich, wenn einem in einem eh schon schlechten Zustand solche Dinge an den Kopf geworfen werden. Zumindest scheint es so als hätte dich dein Hausarzt zumindest gut unterstützt.
Und das mit den Therapeuten ist leider immer so eine Sache. Vielleicht wären manche Menschen in meiner Situation gut mit dieser Direktheit der Therapeutin umgegangen. Ich konnte damit gar nicht und es hat mich nur verunsichert. Was ich damit sagen will ist, dass Patient und Therapeut zusammenpassen müssen und das ist meist ein Ausprobieren. Das Problem ist daran aber wiederum, dass man ja nicht gerne zu tausend Therapeuten watschelt um es mal zu „testen“. Meist ist es schon eine unglaubliche Überwindung zu einem einzigen zu gehen und wenn man da schlechte Erfahrungen macht verliert man schnell den Mut. Ich bin sehr froh, dass es bei dir gut ausgegangen ist.
Beim Wegschicken auf den ersten Blick muss ich dir absolut zustimmen. Auch bei mir würde man nicht das Wrack hinter der Fassade vermuten, wenn man mich sieht und ich brauche lange bis ich in der Therapie richtig ehrlich sein kann. Und auch das mit der Schwere der Problematik sehe ich so. Ich kann nicht alles nach Testung und Diagnose einordnen. Wenn es mal nicht ins Schema passt, sollte das nicht sofort heißen die Person „rauszuschmeißen“.
Leider ist die ambulante Therapieplatzversorgung in Deutschland eine Katastrophe. Gerade in Ballungsräumen wartet man monatelang auf einen Platz. Dass ist weder für die Patienten zumutbar, noch für die Therapeuten, die tagtäglich verzweifelte Menschen abweisen müssen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass hier die Politik endlich auf die mittlerweile lauten Rufe der Bevölkerung hört und mehr Plätze schafft.
Liebe Grüße
Julia
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Guten Morgen Julia,;)
Ja, da hast du wirklich recht, wenigstens hat der Hausarzt erkannt das es so nicht mehr weiter gehen kann.
Es geht nicht mal darum das man keine Lust hat, sondern wenn man dermassen am Boden ist, hat man einfach keine Kraft und ist einfach nur froh wenn man wen hat. Der erste Therapeut, der mit eben jenen Psychiater zusammen gearbeitet hatte, hab ich mir eigentlich schon nach dem 2. mal gedacht das er mich nicht wirklich ernst nimmt oder mir nicht zu hört, dennoch bin ich geblieben. Bis ich dann zum Psychiater gehen musste wegen einer Krankschreiben. Da hat dieser ja dann gemeint das ich froh sein könnte überhaupt ne Arbeit zu haben und ich arbeiten gehen soll. Und dieser hat so geurteilt anhand von dem was der Therapeut ihm über mich sagte. Da meinte Mein Mann dann nur, ich soll wen neuen Suchen. Ich musste dann eben meinen HA wieder anquatschen und hoffen das er mir noch mal ein Arztzeugnisch schreibt was er auch getan hat. bei der 3. Abschreibung hab ich auch geschrieben das es das letzte mal ist wo ich das versuche, einfach weil ich keine Kraft mehr habe. Und zum Glück hat wirklich alles gepasst. Die terapeuti ist super genau so wie die Psychiaterin.
Wow, das ist krass!! MONATE??? Und dann muss man sich vielleicht noch anhören das man Zuwenig krank ist, zu wenig depressiv um einen eine Therapie zu bekommen? Das ist unmenschlich. Wir in der Schweiz, vor allem in Ballungsgebieten, was bald nur noch ein einziges sein wird, da so klein *hahahaha* musst du höchsten 10-14 Tage warten. Das ist schon laaaaaang. Wir sind wirklich sehr sehr gut abgedeckt. Als ich meine damals im März vor 2 Jahren angeschrieben habe konnte ich noch in der selben Woche gehen.
ich wünsch euch das es sich wirklich mal ändert und das in einer humanen Zeit. Wobei das ja auch nicht einfach ist, denn auch wenn es die Plätze dann geben würde dauert es doch einige Zeit bis diese gefüllt werden können.
Liebe Grüsse
Alexandra
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Ganz genau so empfinde ich das auch. Man hat keine Kraft für so ein ständiges hin und her. Ich denke, dass man dann oft einfach die 1. Wahl nimmt, auch wenn es immer so schön heißt, man sollte sich bei der Therapeutensuche trauen zu wechseln. Ich kenne das von mir. Gerade weil es eben so begrenzt Plätze gibt und ich auch nicht die Lust habe ewig zu suchen oder zu warten, habe ich schon mal eine Therapeutin gewählt, wo ich nicht ganz zufrieden war wie sie gearbeitet hat. Aber zumindest menschlich hat es gepasst und das ist ja die Hauptsache.
Das kann dann leider aufgrund des Plätzenmangels schon mal vorkommen, dass man weggeschickt wird. Noch dazu kommt, dass ja nicht jeder Therapeut alle Störungsbilder behandelt. Gerade mit meiner Essstörung hatte ich starke Probleme einen ambulanten Therapeuten zu finden.
Deutschland sollte sich hier wirklich ein Beispiel an der Schweiz nehmen. Das zeigt ja, dass eine gute Versorgung möglich ist. Und es ist ja nicht so, dass es keine Therapeuten gibt. Auch die wären froh, wenn mehr Plätze geschaffen werden.
Liebe Grüße
Julia
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