5 Vorteile psychisch krank Psychologie zu studieren – meine Erfahrungen

Nicht nur einmal ist mir bisher im Internet die Frage begegnet, ob man als Person mit psychischen Problemen Psychologie studieren sollte. Abgesehen davon, dass „psychische Probleme“ eine ganze Menge bedeuten kann (Wer ist schon komplett frei von psychischen Macken?), ist es mir als mittlerweile Psychologiestudierende im Master und Besitzerin einer mal mehr mal minder ausgeprägten psychischen Labilität tatsächlich schon öfter untergekommen, dass an der Uni betont wird wie wichtig es sei als zukünftiger Psychologe belastbar zu sein. Meiner Erfahrung nach gibt es hier jedoch Vor- und Nachteile. Heute geht es um meine persönlich empfundenen Vorteile, im nächsten Beitrag dann um die Nachteile (diesen findet ihr hier).

Vorteil 1: Theorie ist nicht nur Theorie

Ein Psychologiestudium ist in der Regel eine recht theoretische Angelegenheit. Abgesehen von den Praktika und eventuellen Forschungsprojekten kommen Studierende recht wenig mit den Menschen zusammen über jene sie in den Büchern lesen. Praktisch ist es dann natürlich, wenn man gerade das Feld der klinischen Psychologie, wo es um psychische Störungen geht, mit seinen eigenen Erfahrungen bestücken kann. Aufgrund meiner zwei stationären Klinikaufenthalten habe ich mich nicht nur mit meinen eigenen psychischen Erkrankungen auseinandergesetzt, sondern auch andere Störungsbilder kennengelernt. Dadurch war mir von Anfang an klar, dass Diagnosekriterien zwar ganz nett sind, aber die Realität wesentlich komplexer aussieht. Dass auch andere Psychologiestudenten zu dieser Erkenntnis kommen, möchte ich gar nicht abstreiten. Aber vielleicht kommt diese etwas später.

Vorteil 2: „Ich kann das vollkommen nachvollziehen“ ist mehr als eine Phrase

Ein Hauptbestandteil der psychologischen Arbeit ist es sich in andere Menschen mit deren Erleben und Emotionen hineinzuversetzen. Sehr schnell huscht einem dann der Satz: „Ich kann Sie sehr gut verstehen“ über die Lippen. Aber stimmt das wirklich? Diese Frage habe ich mir zumindest als Patientin immer gestellt. Kann der mir gegenübersitzende Psychologe oder Psychotherapeut sich wirklich vorstellen wie es ist sich aufgrund einer Essstörung 24 Stunden am Tag mit Essen bzw. Nicht-Essen zu beschäftigen? Ich hatte oft mehr Vertrauen zu meinen Mitpatienten oder Ex-Betroffenen als zu denen, die ihr Wissen aus Büchern und Beobachtungen haben. Das soll kein genereller Vorwurf sein. Sehr viele Psychologen sind sehr empathisch, aber mir hat es immer geholfen, wenn es jemand WIRKLICH nachvollziehen kann, weil er es erlebt hat. Dieses Nachempfinden aus Erfahrung ist natürlich auch beschränkt. Ich komme z.B. an meine Grenzen, wenn ich mir vorzustellen versuche wie es ist schizophren zu sein. Das musste ich zum Glück noch nie erleben. Aber trotzdem kann es in bestimmten Situationen helfen schneller eine Vertrauensbasis zu schaffen, wenn dem Psychologen oder Therapeuten nicht fremd ist wie es beispielsweise ist aus Angst nicht mehr vor die Tür zu gehen.

Vorteil 3: Man lernt sich selbst und andere besser zu verstehen

Und nein, damit meine ich nicht, dass man sich mit dem Studium selbst therapieren kann. Es geht auch dabei nicht um ernste psychische Störungen. Das Psychologiestudium hält eine ganze Menge interessanten Wissens bereit, warum sich Menschen im Alltag so verhalten wie sie sich verhalten. Viele dieser Infos haben mir geholfen zu verstehen, dass ich so handle, weil es einfach menschlich ist anstatt meiner ursprünglichen Überzeugung, dass ich es tue, weil ich „verrückt“ bin.

Vorteil 4: Konfrontation mit eigenen Triggern

Dass man sich im Psychologiestudium irgendwann mit Themen auseinandersetzt, die potentiell triggernd sein können, sollte keine Überraschung sein. Ich will aber gleich mal wieder etwas die Angst nehmen: Es gibt so viele psychologische Themengebiete, dass man die meiste Studienzeit wahrscheinlich entspannt verbringen kann. Klar, je nach psychischer Erkrankung kann es schon ein Kraftakt sein überhaupt den Weg zur Uni zu bewältigen, aber inhaltlich wird man relativ selten mit seinen Triggern konfrontiert. Und wenn, dann sehe ich das definitiv als Vorteil, weil es auf eine Art geschieht, die doch etwas distanziert von einem selbst passiert. Man selbst steht nie im Mittelpunkt und weil man in einem großen Vorlesungssaal recht gut untergehen kann, ist es für mich immer eine recht gute Übung gewesen selbst damit klarzukommen. (Wichtig: Es gibt natürlich auch Trigger, wo das nicht zutrifft. Ich spreche hier nur von mir.)

Vorteil 5: Sachlich und ohne Emotion

Der letzte Vorteil, als psychisch kranke Person Psychologie zu studieren, schließt sich an den vorherigen Punkt an. Ich selbst habe eine Tendenz an psychische Themen recht emotional ranzugehen – auch, wenn es nicht meine eigenen sind. Im Studium ist die Herangehensweise viel sachlicher. Es wird z.B. über Traumata aufgrund sexuellen Missbrauchs genauso emotionslos gesprochen wie über den Ausfall der Vorlesung übernächste Woche. Das wirkt am Anfang befremdlich, ist aber ein recht hilfreicher Zugang, der einem auch für sein persönliches Leben einen klareren Blick verschaffen kann. Emotionen sind wichtig, aber leider verbauen sie einem oft einen objektiven Blick auf die Lage.

Dieser Beitrag soll niemandem die Entscheidung abnehmen, ob man nun Psychologie studieren sollte oder nicht. All diese Punkte sind auch lediglich meine Erfahrungen und können somit für andere vollkommen anders sein. Ich will betonen, dass man sich definitiv Gedanken machen sollte, ob dieses Studium das Richtige ist. Zudem ist studieren eine Sache, den Beruf später tatsächlich auszuüben eine andere. Wie gesagt, während des Studiums hat man kaum Patientenkontakt. Wenn man aber später tatsächlich mit Patienten arbeitet, die eventuell die gleiche Erkrankung haben wie man selbst, ist das noch einmal eine ganz andere Nummer. Eine Pauschalantwort auf die Frage, ob man als psychisch labile Person Psychologie studieren sollte gibt es nicht. Aber unmöglich ist es nicht und vielleicht schätzen es später die Patienten, wenn sie sozusagen „einen von ihnen“ vor sich haben.

Was sind eure Gedanken dazu? Wie wäre eure Reaktion auf einen Psychologen, der selbst psychische Probleme hat?

Zum Weiterlesen: 5 Nachteile psychisch krank Psychologie zu studieren – meine Erfahrungen


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7 Gedanken zu “5 Vorteile psychisch krank Psychologie zu studieren – meine Erfahrungen

  1. Punkt 5 ist etwas, womit „Normalmenschen“ im Anschluss recht schwer klarkommen, wenn ihnen jemand gegenüber sitzt, der genau so agiert.
    Sind durchschnittlich bei Themen, die mit menschlichen Abgründen zu tun haben, emotional ziemlich aufgewühlt, machen schnell Vorwürfe, ergreifen schnell Partei und nehmen Seiten ein, und stellen denjenigen, der darüber „locker flockig“ reden kann, hin als wäre es sonstwas für ein Monster.
    Dabei ist das „der gewöhnliche Wahnsinn“, den es jenseits der sicheren Blase auch gibt.

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    1. Ich muss ehrlich sagen, dass ich zu Beginn des Studiums auch etwas Schwierigkeiten hatte wie teilweise Menschen schon fast objektifiziert werden. Aber es ist letztendlich, wie du so schön schreibst, der gewöhnliche Wahnsinn und gerade, wenn man in dem Feld arbeitet, kann man sich nicht immer allem emotional hingeben. Dass man dann von anderen als emotionslos dargestellt wird, finde ich nicht richtig. Jeder hat grundsätzlich einen anderen Zugang zu Themen.

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  2. Seelen Splitter

    Sehr guter Beitrag,danke dafür. Also mir sagte auch Mal eine Psychologin das kann ich nachvollziehen das das schwer sein muss. Und ich dachte genau wie du… Ob das stimmt oder muss sie das sagen… Also fragte ich direkt nach, ob sie es selbst erlebt hat….. Weil es mir in dem Moment wichtig war……und sie wusste gar nicht was sie sagen sollte,außer das ihr noch nie jemand diese Frage gestellt hat….ich finde es persönlich gut wenn Ehrlichkeit auf beiden Seiten herrscht. Auch Psychologen dürfen sagen,wenn sie etwas nicht nachvollziehen können, denn das macht sie zu Menschen. Ich weiß gar nicht ob das am Thema vorbei ist Grade…aber naja

    Gefällt 2 Personen

    1. Das ist absolut das, was ich meine. Ich finde es richtig gut, dass du nachgefragt hast. Viel zu schnell nimmt man nämlich oft hin, was der Therapeut sagt. Ich finde es auch keine Schande zuzugeben, dass man was nicht verstehen/nachvollziehen kann anstatt Mitgefühl vorzutäuschen. Das kann die Beziehung zwischen Patient und Psychologe oder Psychotherapeut kaputt machen.

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  3. Huhuu,

    ach, ich wollte ja schon lang kommentieren, bin aber einfach noch nicht dazu gekommen! Ich finde deine Argumentation sehr schlüssig!
    Allerdings muss sicher jeder -wie du ja auch ganz richtig schreibst- bezüglich des Themas „Stabilität“ für sich selbst nochmal prüfen, mit welcher Art von Belastung er/sie gut umgehen kann. Wenn jemand beispielsweise immer noch mit einer generalisierten Angststörung kämpft, wird er sich bei einem oder mehreren latent suizidalen Patienten sicher ziemlich aufreiben in der ständigen Angst, sie könnten sich was antun. Und natürlich gibt es auch andere Patienten“gruppen“ oder Situationen, die einem ziemlich viel abverlangen und ggf. vielleicht auch in „alte Muster“ zurückversetzen können. Ich denke, der Job ist an vielen Stellen belastender als viele andere, zumindest wenn man im therapeutischen Bereich arbeitet.

    Aber dir ging es in diesem Beitrag ja in erster Linie ums Studium und das hast du ganz wunderbar geschrieben! Und ich selbst denke auch, dass man sich als Patient besser auf einen Therapeuten einlassen kann, der selbst auch schon das Ein oder Andere erlebt hat (und das auch in [angemessenem] Rahmen kommuniziert). 🙂

    LG,
    Jessica

    Gefällt 1 Person

    1. Danke für deinen Kommentar, Jessica. Du hast natürlich absolut recht. Ich habe in Praktika mittlerweile herausgefunden, dass ich mit manchen Störungsbildern absolut kein Problem habe. Eben je nachdem, was sie in mir auslösen. Wenn man Glück hat, kann man sich das später in seiner Arbeit auch etwas aussuchen z.B. wenn man auf einer spezialisierten Klinikstation arbeitet. Aber natürlich bleibt der Job emotional belastend. Ich werde auch noch in einem Beitrag auf mögliche Nachteile eingehen, denn es gibt immer zwei Seiten und die sollten vor einer Entscheidung für oder gegen ein zukünftiges Arbeitsfeld gegeneinander abgewogen werden.

      Liebe Grüße
      Julia

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