In meinem letzten Beitrag ging es darum, welche Vorteile es haben kann, wenn man als Person mit psychischen Problemen Psychologie studiert. (Den Beitrag findet ihr hier.) Heute möchte ich über die Nachteile schreiben, die ich als mittlerweile Masterstudentin mit „angeknackster“ Psyche erlebt habe. Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass ich hier nur vom Studium spreche und es noch einmal etwas anderes ist als Psychologin tätig zu sein.
Nachteil 1: Psychologie ist das einzige Thema
Wenn man sich aufgrund seiner eigenen Issues, wie es so schön im Englischen heißt, schon ständig mit Psycho-Themen auseinandersetzt, dann kann es im Zusammenhang mit einem Psychologiestudium so wirken als gäbe es nur dieses eine Thema auf der Welt. Ich sehe oft alles durch eine psychologisch gefärbte Brille und das ist auf Dauer anstrengend. Tatsächlich muss ich mir selbst eingestehen, dass ich das Thema Psychologie hin und wieder komplett satt habe, weil ich ständig davon umgeben bin.
Nachteil 2: Zu viel Wissen wird zur Hürde
Ich bin der Feind eines jeden Psychotherapeuten. Okay, vielleicht ist es nicht ganz so schlimm. Jedoch habe ich in den letzten Jahren durch mein Studium immer mehr verstanden, was der Therapeut da gerade mit mir macht. Automatisch beginne ich dann zu hinterfragen, was ich dazu gelernt habe und kann mich eventuell nicht mehr so darauf einlassen wie jemand, der die Hintergründe weniger kennt. Ich kann mir vorstellen, dass es solche Situationen in vielen Berufsbereichen gibt. Auch ein Friseur, der sich von einem anderen Friseur die Haare schneiden lässt, geht wahrscheinlich anders zum Haarschneide-Termin als jemand, der sich nur mit den Haaren auf dem eigenen Kopf beschäftigt.
Nachteil 3: Motivation und Hoffnung verändern sich
Dieser Punkt schließt gleich an den vorhergehenden an. Durch ein Psychologiestudium bekommt man nämlich nicht nur etwas Know-how zur psychologischen/psychotherapeutischen Herangehensweise, es werden einem auch eine Menge Daten vor die Nase gehalten. Und diese Daten können einem schnell mal die Motivation rauben, wenn man selbst in psychotherapeutischer Behandlung ist. Es wird zum Beispiel in einer Vorlesung erzählt, dass der Großteil der an Störung XY erkrankten Menschen keine Symptomverbesserung durch eine Behandlung zeigt. Dann denke ich mir: Juhuu (Sarkasmus!), das ist genau meine Thematik und bedeutet also, dass ich es gar nicht erst versuchen brauche, wenn eh nichts dabei rauskommt. Ein sehr pessimistisches Gedankenmuster, ich weiß. Sich von solch ernüchternden Fakten, die einem unweigerlich im Psychologiestudium begegnen werden, jedoch gar nicht beeinflussen zu lassen, ist recht schwierig.
Nachteil 4: Der Mensch in Zahlen
Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. Wir wollen den Menschen in Daten und Fakten darstellen. Ich habe im vorherigen Beitrag positiv herausgestellt, dass es hilfreich sein kann, einen etwas emotionsloseren Zugang zu verfolgen, wenn es um die Probleme anderer und seine eigenen geht. Gleichzeitig sehe ich es aber auch oft kritisch und habe mich während Vorlesungen nicht nur einmal in Schubladen gesteckt gefühlt. So sinnvoll eine objektive Sichtweise auch sein kann, die Objektivierung des komplexen Organismus Mensch ist schon gewöhnungsbedürftig.
Nachteil 5: Stress, Stress und nochmal Stress
Dies ist eher ein allgemeiner Punkt, der auf sehr viele Studiengänge zutrifft. So gut wie jeder Student kennt Phasen, wo ein enormer Druck herrscht. Egal ob man für eine bestimmte Klausur nur drei Tage Zeit zum Lernen hat, ein Referat mit einem nicht ganz so motivierten Kommilitonen fertigstellen muss oder die Deadline für eine Hausarbeit gefährlich nahe rückt. Wenn die Psyche da nicht so mitspielt wie man das gerne hätte, sind solche Aufgaben kaum zu bewältigen. Und auch, wenn man versucht die Belastung zu reduzieren – Stichwort Nachteilsausgleich – wird man viel zu schnell abgewiesen, weil das Verständnis dann doch nicht so groß ist, wie immer vorgeheuchelt.
Das ist eigentlich auch der Punkt, auf den man am meisten achten sollte. Ich habe mir viel zu selten eingestanden, dass ich das eigentlich jetzt gerade nicht schaffe und es dann unter widrigsten Bedingungen irgendwie durchgezogen. Das sollte nicht der Weg sein. Lernt aus meinen Fehlern. Viel wichtiger ist es auf sich selbst zu hören und sich dann auch wirklich etwas zurückzunehmen. Denn das ist nicht schwach, wie es uns die gesellschaftlichen Normen weismachen wollen, sondern der Weg, wo man am Ende wirklich sagen kann: Ich bin stolz auf mich.
Zum Weiterlesen: 5 Vorteile psychisch krank Psychologie zu studieren – meine Erfahrungen
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Danke für das Teilen dieser ehrlichen Erfahrung, liebe Julia! Ich fand es immer unheimlich spannend, wie viel Hintergrundwissen du über die Psyche des Menschen hast – aber ich hatte gar nicht in Betracht gezogen, dass das auch Nachteile mit sich ziehen kann:/ Ich kann mir vorstellen, dass es schwer sein muss, plötzlich anders auf die Sache zu blicken – vielleicht ist es sogar unmöglich…Aber wie du schon im letzten Absatz sagtest, hat es nichts mit Schwäche zu tun, auch mal zurückzunehmen und auf sich zu hören! Ich wünsche mir, dass du
Das vielleicht auch hinkriegst!
Liebe Grüße! 💛
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Vielen Dank, liebe Mia. Vielleicht ist im Hinblick auf meine eigenen Probleme eine andere Herangehensweise erforderlich. Da bin ich im Moment gerade etwas am Ausprobieren. Dieses Semester ist auf jeden Fall etwas entspannter und ich versuche, dass ich es auch so hinnehme. Ich neige schnell dazu mir dann noch zusätzliche Dinge aufzuladen. Ich möchte mich aber hauptsächlich auf mich konzentrieren.
Ganz liebe Grüße
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Mit anderen Worten: Selbst angeschlagen zu sein und sich mit Psychologie von der fachlichen Seite aus zu befassen, es wäre besser, wenn man einfach nur genug Zeit dafür hat, damit man eventuelle eigene Triggererlebnisse verarbeiten kann, die dazwischen aufkommen. Kognitiv ist das alles nicht zu schwer zu verstehen, manches braucht nur eben wegen der eigenen Belastung etwas mehr Zeit.
Punkt 2 finde ich gerade problematisch im Zusammenhang, wenn der Studierte/Wissende selbst mal Hilfe braucht. Einerseits, dass einem dadurch die Inkompetenzen der anderen auffallen, mehr aber noch, dass man dadurch erkennen kann, wenn jemand sich mutwillig quer stellt und einem nur in den von ihm favorisierten Bahnen helfen will (z. B. Dingen, womit er wieder Geld verdient). Eben weil man durch das eigene Wissen weiß, dass es auch andere Wege gibt, die völlig legitim, erlaubt und im Rahmen der Kompetenz desjenigen sind, den man als „Helfer“ vor sich sitzen hat, nur derjenige schmettert sie dauernd aus irgendwelchen fachlich nicht nachvollziehbaren Gründen ab.
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Das hast du sehr schön ausgedrückt und ich stimme dir vollkommen zu.
Wenn man Hintergrundwissen hat, besonders auch wie das berufliche System gestrickt ist und nicht nur inhaltlich, dann kann es sehr schwierig sein für sich die richtige Hilfe zu finden. Ich hatte zuletzt erst wieder ein Erlebnis bei einem Arzt, wo ich das Gefühl hatte, dass er sich gewünscht hätte, dass ich die Klappe halte und nicht versuche mein Wissen einzubringen. Das fand ich sehr frustrierend und ich habe mich nicht ernst genommen gefühlt.
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Du kannst mit Fug und Recht stolz auf Dich sein, liebe Julia. Ich habe große Achtung davor, dass Du diese Studienrichtung gewählt hast und kann mir sehr gut vorstellen, dass Du seine Inhalte und deren Anwendung in der praxis besonders kritisch hinterfragst. –
Aber ich finde das auch sehr schön und letztlich besonders wichtig, dass jemand der vom Fach ist und zugleich aus eigenem Erleben weiß, wie Dinge, Methoden etc. wirken, sie hinterfragt.
Während meines Klinikaufenthalts hatte ich oft den Eindruck, dass dort gar nichts (mehr) hinterfragt wurde, ja, das man tatsächlich in eine Kategorie, eine Schublade gesteckt wurde.
Ich wünsche Dir genug Kraft, Dein Studium zu meistern und Deine Kenntnisse ebenso wie Deine Erfahrungen und Deine darauf beruhende besondere Sensibilität anwenden zu können. Ich glaube, das kannst für jene psychisch kranken Menschen, die sich Dir anvertrauen, ein wirkliches Geschenk sein.
Viele liebe Grüße an Dich!
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Ganz lieben Dank für deinen Kommentar, Sternflüsterer.
Ich kann dir nur zustimmen. Ich habe in Praktika und auch durch meine eigene Klinikerfahrung Ähnliches wie du wahrgenommen. Wenn man etwas kritisiert, wird das nicht gerne gesehen. Das hat, meiner Meinung, auch damit zu tun, dass die Psychologen und Therapeuten zum Teil selbst unsicher sind, aber auch wirklich nicht mehr nach links und rechts schauen. Es wird starr das angewendet, was man in der Ausbildung gelernt hat.
Danke auch dafür, dass du mich wieder erinnert hast, dass meine eigenen Erfahrungen eine große Ressource sind, die nicht jeder in diesem Feld mitbringt. Viel zu schnell falle ich in den Gedankenkreis diese Sensibilität eher als Nachteil zu sehen. Dabei kann es wirklich sehr hilfreich sein.
Viele Grüße!
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Ich finde es ganz besonders und sehr gut, dass Du diese Offenheit besitzt. Das ist sehr selten und ein gutes Zeichen. Denn, natürlich, haben andere Studierende ebenso Ängste, Zwänge, Soziale Phobie usw – es ist nur menschlich.
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Vielen Dank für deine lieben Worte! Ja, leider ist es immer noch schwierig solche Themen anzusprechen und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich auch viele Leute öffnen und von ihren Problemen erzählen, wenn man selbst damit anfängt.
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Ich danke Dir ebenso. Wir haben jetzt eine Initiativgruppe ins Leben gerufen
für Hochsensible Personen HSP, dort finden sich, wie bei einem Kalaidoskop sehr viele der sogenannten Strukturellen Störüngen, also Personen, die diese Diagnosen (oft eben „Verdachtsdiagnosen“ oder auch Fehldiagnosen) erhalten haben. Und siehe: Die Verbesserung des Lebensstil bringt ein guten Vorankommen.Vielleicht intressant auch auf you toub: Fritz B. Simon „Diagnosen sind Beschimpfungen“: Laß Dich bloß nicht von diesen herabsetzen, Du hast so viele gut Qualitäten und wirst sehr erfolgreich sein.
Wegen Deiner Offenheit.
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Wie großartig, dass ihr so eine Gruppe gegründet habt! Und superschön, dass sie erfolgreich ist. Vielen Dank für den Tipp und deine ermutigenden Worte!
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Das mit der Hürde sehe ich auch so. Schlimm, wenn man dann schon beginnt völlig normale Denk – und Verhaltensweisen an sich selbst zu pathologisieren. Das hat schon was Hypochondrisches. Ich für meinen Teil interessiere mich auch schon seit 20 Jahren für die Themen Psychologie, Psychiatrie und Therapie. Als ob ich nicht eh schon die ganze ICD-10 auswendig kennen würde. In meiner Freizeit wohlgemerkt. Ich nenne es immer scherzhaft ein Wikipedia-Stipendium. Mittlerweile wünsche ich mir, von all dem nie etwas erfahren zu haben. 😦
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Man kommt wirklich leicht in die Versuchung sein Wissen dann gegen sich zu verwenden. Klar, ist es auch hilfreich, aber man muss sehr achtsam mit sich umgehen und aufpassen wie man es anwendet.
Liebe Grüße
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